Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los. Und weil die zuvorderst Verantwortlichen beim Karlsruher Stadtjugendausschuss mehr Denker denn Dichter sind, heißt es bei ihnen nach dem „Fest“ 2006 schlicht und nüchtern: „Der Zenit ist erreicht.“ Walle! Walle! Für viele andere ist er — nicht erst seit diesem Sommer — längst überschritten. Stehe, stehe! Denn wir haben deiner Gaben vollgemessen! Ach, ich merk es. Wehe, wehe! Hab ich doch das Wort vergessen.
Ob sie sich aber überhaupt gewillt sind, sich zu erinnern? Wohl eher nicht: „Wir gehören mit Stolz zur ersten Kulturliga.“ Das tun sie, da darf man Organisator Rolf Fluhrer beipflichten. Dass „Das Fest“ ein „Aushängeschild für Karlsruhe“ ist, wie Oberbürgermeister Heinz Fenrich unlängst bekundete — keine Frage, feine Sache. Da hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben, und nun sollen dessen Geister auch nach seinem Willen leben. Seine Wort und Werke merkt er und den Brauch, und mit Geistesstärke tut er seither Wunder auch. Ein wirklicher (Zauber-)Lehrling war er nie; Meister ist er unbestritten, denn was Fluhrer aus dem von Dieter Moser initiierten Nachwuchs-Festival im Laufe der Jahrzehnte gemacht hat, ist zutiefst beeindruckend und verdient gebührende Anerkennung! Aber sein „Fest“ ist längst auf dem Zenit des Erträglichen angelangt, und noch beunruhigender: des Verantwortbaren.
O, du Ausgeburt der Hölle, soll das ganze Haus ersaufen?
Walle! Walle! Manche Strecke. Mehr als eine Viertel Million Menschen in drei Tagen auf 1,5 Kilometer Länge und 300 Meter Breite. Eine schier unglaubliche Anzahl, Kopf und Hände voll mit Flaschbier. Ein Zenit, mehr Scheitel– denn Höhepunkt, bedenkt man, dass selbst wesentlich größere Festivals wie etwa das „Southside“ oder auch die Rocks am Ring und im Park bei 40 respektive 60.000 Schotten dicht machen, sprich den Ausverkauf melden. Und selbst bei einem halbwegs wilderen Substage–Gig wird schon lange nurmehr in Bechern ausgeschenkt. Die Günther-Klotz-Anlage hingegen ist trotz Zaun allzeit für jedermann geöffnet und mit Blitzesschnelle wieder ist er hier mit raschem Gusse!
Wie das Becken schwillt! Wollte man nicht noch 2005 einen Gang zurückschalten, im Jahr eins nach dem überwältigenden Jubiläums-„Fest“? Das ist (auch) dieses Jahr nicht passiert. Stattdessen: Immer neue Superlative vor wie auf der Bühne. Ein noch besseres, sehr ausgewogenes „Fest“-Programm, vielleicht in 22 Jahren das beste überhaupt; aber eben auch ein (zu) populäres. Seeed, das musikalisch hübscheste Ding der Stunde am Samstag und ohne geldliche Gegenleistung — eine die Massen magisch ziehende Mischung; und zum Bass, bässer am bässten der alljährliche Tanz auf der Rasierklinge. Ach, nun wird mir immer bänger! Welche Miene! Welche Blicke! O, du Ausgeburt der Hölle, soll das ganze Haus ersaufen?
Dass zum Zwecke Wasser fließe
Dabei gäbe es sehr wohl Möglichkeiten, dem Rad der Zeit zumindest die ein oder andere Lanze in die Speichen zu jagen: Warum denn nicht mal eine erstklassige, aber vom Namen her noch vergleichsweise wenig bekannte Band wie etwa die Ska-Rock-Formation La Vela Puerca als Samstagabend-Headliner? Walle! Walle! Manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe. Aber nein: „Wir brauchen große Künstler, mit denen wir die Veranstaltung refinanzieren können.“ Argumentiert Fluhrer. Und mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße. Das ist kaufmännisch gedacht nicht falsch, aber eine Logik, die sich schlicht nur selbst rechtfertigt. Kann sich doch auch hier die Spirale zur Abwechslung nach unten drehen: Weniger bekannte Acts kosten auch wesentlich weniger Geld und ließen sich somit auch mit weitaus weniger Publikum refinanzieren.
Doch sie laufen! Nass und nässer wird’s im Saal und auf den Stufen: Welch entsetzliches Gewässer! Herr und Meister, hör mich rufen! Da aber auch zukünftig kaum weniger prominentes Hauptbühnenpersonal verpflichtet werden wird, der Umsonst-Charakter nach Aussage der Verantwortlichen unbedingt und gottlob erhalten bleiben soll und ein ebenfalls hier und da schon diskutierter Standortwechsel hin zur Neuen Messe getrost als absurd abgetan werden darf — weil beides den Charme der Veranstaltung zerstören würde — sind die heuer erstmals praktizierten Einlassbeschränkungen bei Überfüllung die einzig praktikable Möglichkeit der Regulierung zugunsten größerer Sicherheit — nur rechtzeitig(er) wohlgemerkt. Indikatoren, an denen eine derartige Zuspitzung festgemacht werden kann, sind laut Veranstalter unmöglicher Zählung der Ein– und Ausgehenden zum Trotz vorhanden.
Wärst du doch der alte Besen?
Ach, das Wort, worauf am Ende er das wird, was er gewesen! Ach, er läuft und bringt behände — wärst du doch der alte Besen. Oder doch zurück zu den Ursprüngen? Utopisch, und wer kann das ernsthaft wollen? Denn der „Fest“-Tourismus lässt sich über kurz ohnehin nicht mehr vermeiden: „Festivalguide“ wie „Focus“ geben mittlerweile ungefragt Auskunft, zumal die durch Karlsruhe ziehenden Studentenhorden noch Jahre danach mit fünf Freunden wiederkehren und jene samt allen anderen kämen mittlerweile „selbst dann, wenn wir gar kein Programm auf der Hauptbühne machen würden“.
Der Vorsitzende des Stadtjugendausschusses, Christian Klinger, bringt das „Fest“-Dilemma nur geringfügig überspitzt auf den Punkt. Da sind sie wieder, die Geister, die sie riefen. Kaum ist das über mehrere Jahre angehäufte Defizit in Höhe von 225.000 Euro Stadtverwaltung sei Dank behoben, seh ich über jede Schwelle doch schon wieder Wasserströme laufen. Ein verruchter Besen, der nicht hören will. Stock, der du gewesen, ach steh doch endlich wieder still!